Die 4-Tage-Woche in der Finanzbranche
Das positive Beispiel der Volksbank Euskirchen eG – ein innovativer Weg zur Mitarbeitergewinnung.
Die Vor- und Nachteile der 4-Tage-Woche werden heftig diskutiert; Für- und Widerargumente ausgetauscht. Die Theorie ist erfüllt von Meinungen, Befürchtungen und Hoffnungen. Und wie ist die Realität? Es gibt gute Beispiele, wie und mit welchem Erfolg eine 4-Tage-Woche eingeführt wurde. Diese Erfahrungen können die Diskussion versachlichen und auf eine praktische Basis stellen.
Die Volksbank Euskirchen eG ist eines dieser positiven Beispiele der 4-Tage-Woche in der Finanzbranche. Wir sprachen mit dem Sprecher des Vorstands der Bank, Hans-Jürgen Lembicz.
Guten Tag Herr Lembicz, die Volksbank Euskirchen hat als Vorreiter die 4-Tage-Woche eingeführt. Warum? Was waren Ihre Beweggründe?
Hans-Jürgen Lembicz:
Nach Corona und insbesondere in unserer Region nach der Flutkatastrophe 2021 stellten wir ein verändertes Kundenverhalten fest. Das Zeitfenster für einen festen Schließungstag freitags war damit aus unserer Sicht auf. Zudem sahen wir einen strategischen Personalbedarf in Folge des künftigen Ausscheidens von langjährigen Mitarbeitern der geburtenstarken Jahrgänge. Also haben wir nach einem innovativen Weg gesucht, Kunden-, Mitarbeiter- und Bankinteressen unter einen Hut zu bekommen. Die 4 Tage-Woche war dabei die Lösung, einen attraktiven Weg zu bestreiten.
Wann erfolgte die Einführung des Konzepts?
Hans-Jürgen Lembicz:
Das Konzept wurde im Herbst 2022 erarbeitet, in rund 8 Wochen mit Hilfe von Mitarbeiterzusatzvereinbarungen und organisatorischen Anpassungen des betrieblichen Ablaufs konkretisiert und bereits zum 1. Januar 2023 eingeführt.
Ist diese Rechnung aufgegangen?
Hans-Jürgen Lembicz:
Bisher voll und ganz, also ein klares ja. Unsere Bereichsleiter berichten von zufriedenen und motivierten Mitarbeitern. Zudem dürfen wir uns im ersten Halbjahr 2023 über 16 neu eingestellte Mitarbeiter freuen – im Gegensatz zum aktuellen Trend in unserer Branche.
16 Neue – und das bei welcher Beschäftigtenzahl?
Hans-Jürgen Lembicz:
Aktuell beschäftigen wir rund 270 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Wichtig sind ja die Umsetzungsschritte. Wie war dies bei Ihnen?
Hans-Jürgen Lembicz:
Wir verfügen über keinen Betriebsrat und schlossen mit allen Mitarbeitern eine einzelvertragliche Regelung, die die Reduzierung der bisherigen Stundenanzahl von 39 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich, einer Anpassung des Urlaubs von 30 auf 24 Tagen und möglicher Überstunden im Detail regelt. Falls Überstunden anfallen, sind diese bis 39 Stunden inkludiert. Die Regelung gilt im Übrigen generell nicht für den Vorstand und nur eingeschränkt für die 2. Führungsebene, die interne Meetings o.ä. in der Regel an den ansonsten freien Freitagen durchführt. Ferner regelt die Einzelvereinbarung auch die Bedingungen für eine theoretisch mögliche Umkehrung in eine 5-Tages-Woche in der Zukunft.
Arbeiten die Beschäftigten weiterhin 39 Stunden, nur anders verteilt, oder ist die Zahl der Arbeitsstunden pro Kopf gesunken?
Hans-Jürgen Lembicz:
Wir haben im Rahmen des Einführungskonzeptes Vorkehrungen getroffen, um die 35 Stunden auch in der Realität ankommen zu lassen. Ausnahmen sind je nach Arbeitsanfall möglich, aber mittlerweile eher selten. Dies war aber nur durch einen fest geschlossenen Freitag in der Gesamtbank möglich, was übrigens auch energetische Vorteile bringt. Für die Kunden sind wir aber durch ein Kunden-Service-Center z.B. für Notfälle auch freitags von deren Home-Office erreichbar. Als Ausgleich für den weggefallenen Freitag bieten wir unseren Kunden Dienstag und Donnerstag zwei lange Tage an, die auch gut angenommen werden.
Und wie reagierten die Kunden?
Hans-Jürgen Lembicz:
Die Reaktionen der Kunden haben wir als Dienstleister im Vorfeld als unser größtes Risiko angesehen, können aber aus heutiger Sicht festhalten, es gibt fast keine negativen Reaktionen. Die Kunden zeigten fast immer Verständnis oder freuten sich sogar ganz offen mit den ihnen vertrauten Mitarbeitern.
Und wie reagieren die Beschäftigten im Telefondienst? Haben die auch eine 4-Tage-Woche, oder arbeiten diese weiterhin an 5 Tagen?
Hans-Jürgen Lembicz:
Ursprünglich war angedacht, die 4-Tages-Woche hier mit Hilfe eines modifizierten Schichtdiensts zu ermöglichen und einen anderen Tag als den ansonsten freien Freitag zu erhalten. Im Nachgang haben sich aber einige qualifizierte Mitarbeiter gefunden, die uns gebeten haben, freiwillig die Arbeitszeit von 35 auf 39 Stunden gegen Zusatzentlohnung zu ermöglichen, um diese Mehrstunden freitags zu erbringen. Wir waren bei diesen Anfragen flexibel und können jetzt auch hier nur von zufriedenen Gesichtern berichten.
Herr Lembicz, mal Hand aufs Herz: Können Sie die 4-Tage-Woche weiterempfehlen?
Hans-Jürgen Lembicz:
Ich kann diese Frage natürlich nur für unsere Bank beantworten und bin da nicht ideologisch unterwegs. Für uns war die Entscheidung aus heutiger Sicht ein Glücksfall und verschafft uns am Arbeitsmarkt eine gewissen Zeitvorsprung, zwar nicht auf Dauer aber immerhin ein Vorsprung. Unsere Kunden akzeptieren trotz der eingeschränkten Servicezeit diesen Weg und unsere Mitarbeiter sind regelrecht begeistert – die jüngeren Mitarbeiter nennen die Bank einen “coolen Arbeitgeber“ und für diese Bewertung sind wir ehrlich gesagt ein wenig stolz.
Herr Lembicz, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihrem Projekt weiterhin viel Erfolg.
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