Wie teuer kommt uns der Fachkräftemangel?
Die Boston Consulting Group hat nachgerechnet: Pro Jahr summieren sich die Kosten des Fachkräftemangels auf 84 Milliarden $. Dabei werden die deutschen Unternehmen mehr unter diesem Mangel leiden als der Großteil der Länder mit einer starken Wirtschaft, so eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group (BCG) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) der Vereinten Nationen. Lediglich die USA generiert größere Verluste, nämlich 875 Milliarden $.
Im zweiten Quartal waren laut des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hierzulande 1,9 Millionen Stellen unbesetzt. In dieser Zahl sind auch Jobwechsel etc. enthalten. Somit geht das Institut von ca. 1 Million dauerhaft unbesetzter Stellen aus.
Migration von Fachkräften
Diese Studie stellt die Migration neuer Fachkräfte in den Mittelpunkt und macht deutlich, dass Deutschland hier wohl auf die falschen Länder zur Suche von Fachkräften setzt. Hier ist eine Schärfung der Zielländer erforderlich. Aber auch dann, wenn Fachkräfte gefunden und motiviert werden, ist das Problem nicht gelöst. „Deutschland ist eines der Länder, das am wenigsten auf eine Arbeitsmigration vorbereitet ist“, so die Studie.
Ohnehin wird die Zuwanderung allein das Problem der deutschen Demographie nicht lösen können. Bis 2023 wird die Zahl der Arbeitskräfte um 3 Millionen sinken, bis 2050 um weitere 9 Millionen. Unterstellt man eine Zuwanderung von 4 Millionen, bleibt hier dennoch eine gewaltige Lücke.
Aktionsprogramm gegen den Fachkräftemangel
Aber Integration ist kein Allheilmittel. Die Bundesregierung sieht in ihrem Aktionsprogramm folgende Punkte:
- Berufliche Orientierung fördern – hierunter fällt auch die Förderung der Ausbildung und der Weiterbildung
- Arbeitsbedingungen attraktiver gestalten – insbesondere Frauen will die Bundesregierung für den Arbeitsmarkt gewinnen
- Einführung einer „Chancenkarte“ für ausländische Mitarbeiter – eine neue Form des Aufenthaltstitels
Unternehmensinterne Lösungsansätze gegen Fachkräftemangel
Zuwanderung als integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie
Zur Milderung der Fachkräftelücke kommt es für Unternehmen darauf an, die Integration von Zuwanderern als integralen Bestandteil der Unternehmensstrategie zu verstehen. In den 60er Jahren haben die deutschen Unternehmen Instrumente zur Integration von „Gastarbeitern“ entwickelt, die Zuwanderer erfolgreich in die Arbeitswelt integrierten. Damals fehlten jedoch die erforderlichen Vorgehensweisen zur erfolgreichen gesellschaftlichen Integration.
Mit Arbeitsorganisation gegen den Fachkräftemangel
Ein weiterer Themenbereich – mindestens ebenso bedeutsam wie die Migration von Fachkräften – wird in der Diskussion zur Behebung des Fachkräftemangels stiefmütterlich behandelt:
Der, der Arbeitsorganisation.
Fachkräfte stöhnen unter der Beschäftigung mit Aufgaben, für die ihre Fachqualifikation gar nicht erforderlich ist.
Ein Beispiel aus der Praxis:
Ein Arzt beispielsweise will seiner ärztlichen Tätigkeit am Patienten nachkommen; wird aber mit sehr viel bürokratischen Aufgaben blockiert. Laut MB-Monitor 2022 des Marburger Bundes sind Ärzte zwischen 3 und 4 Stunden pro Tag mit Verwaltungstätigkeiten beschäftigt. Lediglich die restliche Zeit wird sich der eigentlichen Aufgabe, der Arbeit am und mit den Patienten, gewidmet.
Nicht nur die reine Menge an bürokratischen Aufgaben blockieren wertvolle Arbeitszeit, auch die mangelhafte Digitalisierung und IT-Ausstattung sind wahre Zeitfresser. Wird dies hochgerechnet, resultiert der Ärztemangel zu einem deutlichen Teil aus mangelnder Organisation und Fehleinsatz.
Reduktion des Fachkräftemangels durch die richtige Aufgabenverteilung
Für welche Aufgaben werden Fachkräfte wirklich benötigt?
Dieses Beispiel steht für viele andere Positionen, bei denen Fachkräftemangel herrscht. Es ist an der Zeit, im Zuge des Fachkräftemangels auch die jeweilige Arbeitsorganisation zu durchleuchten. Welche Aufgaben braucht das knappe Gut der Fachkenntnisse wirklich? Welche Aufgaben erfordern diese nicht und können von jemandem ohne diese fachliche Qualifikation erledigt werden?
Die Betrauung der Fachkräfte mit den Aufgaben, für die wirklich eine Fachqualifikation erforderlich ist, kann die Auswirkungen des Fachkräftemangels reduzieren. Hierfür sollten Arbeitsabläufe reorganisiert und Stellendefinitionen neu überarbeitet werden. Hinzu kommen die erforderliche Digitalisierung und IT-Unterstützung – sie ergänzen die Toolbox zur Problemlösung.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Prof. Dr. Herbert Einsiedler