Erinnerungsfehler
Wenn die Erinnerung einen Streich spielt!
„Kann ich mich genau erinnern.“ Ein oft gesprochener Satz. Wirklich? Die Erinnerung ist ein flüchtiges Geschöpf, wie jetzt eine neue Studie von der Universität Toronto, zeigt. Diese Studie folgt anderen wissenschaftlichen Untersuchungen, die feststellten, dass das Gehirn falsche Erinnerungen bildet. Das Gehirn spielt uns einen Streich. „Ich erinnere mich genau“ – der Satz ist subjektiv völlig richtig, auch wenn die Realität etwas anderes sagt. Erinnerung ist manchmal ein Trugschluss.
Unser Gedächtnis funktioniert nicht wie eine Video-Kamera. Vielmehr rekonstruiert unser Gehirn, wenn wir uns erinnern, unsere Gedächtnisinhalte. Dabei werden diese von unserem Gehirn (nach-) bearbeitet und verändert. Dieser Vorgang hilft uns, neue Informationen alten hinzuzufügen. Leider funktioniert dieser Prozess nicht immer fehlerfrei.
Einflussfaktoren der Wahrnehmung
Im Arbeitsleben werden wir bei der Beobachtung oft überraschend unterbrochen. Welche Auswirkung haben dieser Unterbrechungen nunmehr auf unsere erinnerten Gedächtnisinhalte. Mit diesem Phänomen beschäftigten sich Sinclair und Kollegen in der Studie. Anhand von MRT-Aufnahmen wurden die Hirnaktivitäten bei einer überraschenden und unterbrochenen Wahrnehmung aufgezeichnet. Was ist das Fazit?
Geschieht plötzlich etwas Unerwartetes, erinnert man sich an dieses Ereignis besonders stark. Wie korrekt sind nun diese Erinnerungen? Durch die Überraschung wird das Gehirn, genauer der Hippocampus, in einen „Aktualisierungs-Modus“ versetzt, in den Erinnerungen be- bzw. überarbeitet werden. Die Überraschung unterbrach die Stabilität der Hirnaktivitätsmuster im Hippocampus mit dem Ergebnis einer Veränderung. Je mehr Störungen im Hirnmuster erzeugt wurden, desto mehr falsche Erinnerungen wurden produziert.
Die Erinnerung spielt uns umso mehr Streiche, wenn überraschende Ereignisse den Beobachtungsvorgang stören.
Wahrnehmung gleich Wahrheit?
Was bedeutet das jetzt für die Praxis? Zum einen, immer kritisch bei Erinnerungen bleiben, sowohl bei eigenen als auch bei Erinnerungen anderer Personen. Falsche Erinnerungen können mit dem Brustton der Überzeugung vorgetragen werden – weil die betroffene Person das auch so wahrgenommen hat. Wahrgenommen ist aber noch lange nicht wahr. Auch bei eigenen Erinnerungen ist eine gewisse Skepsis angebracht.
Bei unterschiedlicher Wahrnehmung kommt es auch nicht darauf an, ob die eine oder andere Person jetzt recht hat. Die Wahrnehmung kann einer oder gar beider Personen einen Streich spielen. Andere Quellen, unabhängig von der eigenen Erinnerung, können helfen, sich der Realität zu nähern und die eigene Wahrnehmung zu überprüfen.
Was wir wahrnehmen, nehmen wir für wahr. Es sollte aber immer bewusst sein, dass die Wahrnehmung und die Erinnerung eben keine Video-Aufnahme eines Vorgangs sind, sondern das, was unser Gehirn aus diesem Vorgang gemacht hat.
Quellen: doi.org/10.1073/pnas.2117625118; Bd. 15, S. 655
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Prof. Dr. Herbert Einsiedler